1964 war ein historisches Jahr in der Musikgeschichte: Die Beatles hatten mit einer Tournee in den USA die berühmte Beatles-Mania verursacht und gleichzeitig die Plätze 1 bis 5 der amerikanischen Single-Charts belegt. Und die Rolling Stones veröffentlichten ihr erstes Album. Auch für einen damals 18-jährigen Teenager im kanadischen Winnipeg mit Namen Neil Young sollte 1964 ein wichtiger Wendepunkt in seinem Leben sein: Er hatte seine erste richtige Freundin, er entschied sich, die High School zugunsten einer Musikkarriere abzubrechen - und er kaufte sich seinen berühmten, großen, schwarzen Leichenwagen. Das Alles passierte im August 1964.
in English |
"Ich hatte eine Annonce in der Zeitung gelesen und fuhr hin, und dort standen gleich mehrere zur Auswahl. Ein Leichenwagen wäre doch ein ideales Bandfahrzeug, dachte ich mir, dann bräuchten wir endlich nicht mehr das Auto meiner Mutter Rassy zu nehmen."
Die Zeitungsannonce, die Neil Young da erwähnt, hat "Rusted Moon" jetzt ausfindig gemacht. Bislang war ungeklärt, wann genau Neil Young damals seinen Leichenwagen kaufte. Als ungefährer Zeitraum war nur August oder September 1964 bekannt. Jetzt steht fest: Die Anzeige erschien am 14. August 1964 - heute vor genau 50 Jahren - in der Lokalzeitung "The Winnipeg Press". Es war eine Freitagsausgabe und die Inserate für Gebrauchtwagen füllten ganze Seiten. Neil Young musste die Angebote systematisch durchforstet haben - rein zufällig wird ihm der unscheinbare 4-Zeiler auf Seite 29 unten links nicht ins Auge gesprungen sein:
Originalanzeige (Klick zum Vergrößern) |
'53 PONTIAC HEARSE NEARLY NEW
Tires exc. cond, 2 - '48 Buick Hearses.
Make ideal camping or hunting cars.
(Telefonnummer unleserlich)
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[Weiter: Wie und wo genau Neil Young seinen berühmten Leichenwagen "Mort" kaufte ...]
Gleich drei Leichenwagen waren auf einmal zu verkaufen. Dem damals 18-jahrigen Bandleader Neil Young musste das Herz aufgegangen sein. Seit er Anfang August während eines Campingurlaubs mit Freunden am Falcon Lake, östlich von Winnipeg, die Band "The Crescendos" und ihren VW-Bus gesehen hatte, spukte ein eigener Bandwagen in seinem Kopf herum. Mit so einem Wagen konnten er und die "Squires" samt Equipment auch zu weiter entfernten Gigs fahren - eine zwingende Voraussetzung für den Schritt zum Berufsmusiker. Eine professionelle Band konnte schließlich nicht mehr mit Muttis Kleinwagen zu den Auftritten reisen. Genau das hatten die "Squires" aber bislang immer tun müssen. Seit Gründung der Band zwängte man sich mitsamt Verstärkern und Instrumenten in den kleinen blauen "Standard Ensign" von Neil Youngs Mutter Rassy.
So ein Leichenwagen dagegen bot natürlich ganz andere Möglichkeiten. Neben den üppigen Platzverhältnissen - nicht umsonst preiste die Zeitungsanzeige die Wagen für Camping und Jagd an - hatten diese Fahrzeuge noch weitere Vorteile: Die Rollen im Laderaum, auf denen der Sarg in den Wagen geschoben wurde, erleichterten auch das Beladen mit Verstärkern und Boxen. Außerdem hatten Leichenwagen meist nur wenige Kilometer auf dem Tacho. Und sie waren billig. Nicht jeder Gebrauchtwagenkäufer konnte sich nämlich für Fahrzeuge mit solch spezieller Vergangenheit erwärmen.
Leichenwagen mit blauen Samt
Seite 29, Winnipeg Free Press, 14.8.1964 |
Neil Young war das Praktische aber schon immer näher als die Pietät. Er entschied sich, einen der angebotenen 1948er Buick Leichenwagen zu kaufen. Der in der Anzeige zuerst genannte 1953er Pontiac Hearse war entweder schon verkauft oder kam für ihn nicht in Frage. Er war fünf Jahre jünger als die beiden 1948er Buicks und laut Anzeige in exzellentem Zustand mit nahezu neuen Reifen. Er wäre daher wahrscheinlich auch teurer gewesen als die Buicks.
Trotzdem stellt die Anzeige mit den beiden Buick Leichenwagen und dem Pontiac Hearse schon ein kleine Sensation dar: Denn exakt so einen 1953er Pontiac Leichenwagen kauft sich Neil Young später im März 1966 in Toronto, um damit von Kanada nach Kalifornien zu fahren und "Buffalo Springfield" zu gründen. Diesen als "Mort II" bezeichneten Leichenwagen hatte Neil Young also nachweislich schon anderthalb Jahre zuvor zusammen mit "Mort I" in Winnipeg gesehen.
Beide Leichenwagen-Modelle in Neil Youngs Karriere zusammen in einer Anzeige - das ist beinahe wie ein Medley aus "Long May You Run" und "Buffalo Springfield Again". Neil Youngs Vater Scott Young hat später in seinem Buch "Neil and Me" geschrieben, dass sein Sohn 1966 in Toronto die Spalten für Gebrauchtwagen in der Tageszeitung nach einem geeigneten Wagen durchforstet hat. Beim 1953er Pontiac Leichenwagen habe er dann sofort zugeschlagen. Kein Wunder: Wie man jetzt weiß, kannte er den Wagentyp ja schon.
Damals 1964 in Winnipeg entschied sich Neil Young jedenfalls noch für den älteren und billigeren Buick Leichenwagen und fuhr zum Verkäufer, einem örtlichen Bestattungsunternehmen in Winnipeg. Dort musste er aber erstmal eine Entscheidung treffen:
"Als ich jedenfalls da ankam, wo der Leichenwagen stehen sollte, parkten auf einem mit Maschendraht umzäunten Platz zwei identische Fahrzeuge. Der einzige wirkliche Unterschied war der Innenraum, einmal blau und einmal weinrot. Damit meine ich die Samtverkleidung im hinteren Abteil. Von außen sahen sie echt heiß aus! (...) Auf den vorderen Kotflügeln stand seitlich der Name Flxible. Zwei Sonderanfertigungen des 1948er Buick Roadmaster! Ich fasste es nicht. (...) Ich traf eine Entscheidung. Die blaue Innenausstattung sah besser aus, also nahm ich diesen. Rassy zahlte die Rechnung. Danke, Mum!"
Ganze 125 Dollar zahlte Neil Youngs Mutter für den ersten Wagen ihres Sohnes. Bezogen auf das Fahrzeuggewicht je Dollar ein Schnäppchen. Schon kurz zuvor hatte sie auch das Geld für einen neuen Verstärker - einen teuren Fender Tremolux - locker gemacht. Im August 1964 war die Mutterliebe also teuer erkauft. Neil Youngs Vater übrigens, wollte damals trotz eines Bettelbriefs seines Sohn die 600 Dollar für den Verstärker nicht beisteuern. Er wollte, dass Neil Young die Schule zu Ende macht. Der neue Verstärker war deshalb notwendig geworden, weil Neil Youngs erster richtiger Gitarrenamp - ein Ampeg Echo-Twin - bei einem Gig abgeraucht war. Den Ampeg hatte damals auch schon Neil Youngs Mutter bezahlt.
Stolz wie Oskar
Übrigens behauptete "Squires"-Bassist und Band-Kassenwart Ken Koblun später in einem Zeitungsinterview, er habe das Geld für den Leichenwagen aus der Bandkasse gezahlt. Wer auch immer den Wagen letztlich finanzierte, Neil Young war mächtig stolz auf seine Neuerwerbung aus der Zeitungsanzeige vom 14. August. In seinen Memoiren erinnert er sich:
"Bei unserem ersten Gig mit Mort kam es mir vor, als hätten die Squires eine neue Identität. Der Leichenwagen war ein echter Hingucker, und genau das braucht man, wenn man in einer Band spielt. Man muss cool sein, wenn man zu einem Gig kommt. Mit Mort waren wir so ungefähr die Coolsten in der Stadt. So etwas hatte niemand. Da kam keiner ran."
Dieser erste Gig, bei dem "Neil Young and The Squires" mit Leichenwagen vorfuhren, wird am 23. August 1964 gewesen sein. Damals spielte die Band in Winnipegs "Fourth Dimension Coffee House". Außer dem Wagen war bei dem Gig auch die Hälfte der Bandmitglieder neu: Jeff Wuckert und Bill Edmondson ersetzten Allan Bates und Ken Smyth. Bates, Gründungsmitglied der "Squires" und der später eingestiegene Smyth waren im August 1964 kurzerhand gefeuert worden, weil sie nicht nach Falcon Lake reisen wollten. Neil Young hatte sie dorthin bestellt, als er nach dem besagten VW-Bus-Auftritt der "Crescendos" für seine "Squires" einen Gig in einem Hotel am See vereinbart hatte. Neils Entscheidung für das Berufsmusikertum und den neuen Bandwagen waren also mit unerfreulichen personellen Maßnahmen des jungen Bandleaders verbunden gewesen. Wie gesagt: Im August 1964 wurde Neil Young richtig erwachsen ...
Wer war der Verkäufer des Hearse?
Der mutmaßlicher Verkäufer |
Bleibt noch die Frage, wer denn eigentlich damals in Winnipeg gleich drei Leichenwagen zum Kauf anbot? Genaues ist nicht bekannt. Aber die in der Zeitungsannonce genannte Telefonnummer könnte ein Hinweis sein. Die ist zwar kaum zu entziffern, fängt aber immerhin deutlich lesbar mit "CA 2 - ...." an. Laut Neil Youngs Memoiren war der Verkäufer ein örtliches Bestattungsunternehmen. Davon gab es 1964 etwas mehr als ein Dutzend in Winnipeg - und alle boten ihre Dienstleistungen per Kleinanzeige in der örtlichen Tageszeitung an. Sucht man nun die Rubrik "Funeral Directors" ab und vergleicht die in den Annoncen des Jahres 1964 angegebenen Telefonnummern, gibt es nur einen einzigen Bestatter, dessen Anschluss mit "CA 2 - ...." beginnt: Die "TRANSCONA FUNERAL CHAPEL".
Dieser Bestatter residierte im Stadtteil Transcona östlich des Stadtzentrums von Winnipeg auf der anderen Seite des Red Rivers am Kern Drive. Diese Straße war kurz zuvor im Jahr 1963 umbenannt worden. Sie hieß zuvor Crescent Road. Dieser alte Name steht daher auch in Klammern in der Anzeige. Auch heute befindet sich in der Gegend noch ein Bestatter und eine "Transcona Funeral Chapel", allerdings an einer anders genannten Straße. Das Viertel hat sich in den letzten 50 Jahren städtebaulich natürlich stark verändert. Der heutige Bestatter dort heißt übrigens "Wheeler Funeral Home" - einen passenderen Namen für einen Nachfolger desjenigen, der Neil Young einen Leichenwagen verkaufte, kann es ja wohl kaum geben ...
Kurze Geschichte des Buick/Flxible Leichenwagens
Firmen-Logo |
Neil Youngs Leichenwagen war nur formal ein Buick Roadmaster. Konstruiert und hergestellt wurden diese Wagen nämlich nicht von Buick, sondern von der Firma Flxible. Flxible (ohne "e") residierte von 1913 bis zum Konkurs im Jahr 1996 in Loudonville, Ohio. Dort stellte man zunächst unter dem Firmennamen "Flexible Sidecar Company" Motorräder mit Seitenwagen her, ehe die Produktion auf Leichenwagen und Stadtbusse umgestellt wurde. Im 2. Weltkrieg baute das Unternehmen unter anderem Panzerteile. Nach dem Krieg konzentrierte man sich auf Überlandbusse und baute auch wieder Spezialfahrzeuge für den Kranken- und Leichentransport. Grundlage waren Chassis und Teile von Serienfahrzeugen anderer amerikanischer Hersteller wie Buick, Studebaker oder Cadillac. Flxible schnitt die Chassis dieser Autos auseinander, verstärkte und verlängerte sie. Für Kühlergrill, Kotflügel sowie Motor und Getriebe griff man auf Originalteile zurück.
Ragged Glory: Die Sitzbank vorne |
Den Buick-Umbau brachte Flxible in unzähligen Varianten auf den Markt: So war der Wagen in den zwei unterschiedlichen Buick-Modellreihen "Super" und "Roadmaster" verfügbar. Beide Modellreihen waren dann
noch entweder als reiner Krankenwagen oder als reiner Leichenwagen erhältlich. Der Krankenwagen hatte an der Front und auf dem Dach Blaulichter und Sirene angebaut. Der Leichenwagen war als reiner Hecklader sowie als Ausführung mit Hecktür und zusätzlichen Seitentüren lieferbar.
Eine weitere beliebte Variante des Flxible war das sogenannte "Combination Car" - ein Art "eierlegende Wollmilchsau". Diese Version war sowohl als Krankenwagen, als auch als Leichenwagen gleichzeitig nutzbar. Wenige Handgriffe genügten zur Umrüstung. Solche "Combination Cars" waren vor allem in kleineren amerikanischen Gemeinden sehr beliebt, wo sich zwei separate Spezialfahrzeuge nicht
rentierten.Typenschild eines 1948er Modells |
Die unterschiedlichen Modellvarianten hatten spezielle Typenbezeichnungen, aus denen sich der jeweilige Verwendungszweck ablesen lässt. Fans der Autos und Busse von Flxible bilden ein rührige Internetgemeinde, besitzen alte Listen der Firma, tauschen Ersatzteile und Erfahrungen aus. Laut der Typenliste für die Jahre bis 1953 steht das Kürzel FB21 zum Beispiel für "Hecklader-Leichenwagen". FB22 bedeutet "Krankenwagen". "Combination Cars" hatten das Kürzel FB23. Es gab auch noch reine Servicewagen mit dem Kürzel FB24. Daran wurde dann eine dreistellige Ziffernkombination angehängt, bei der 5 für die Super-Variante stand. Die Roadmaster-Version hatte die Ziffer 7. Daran wiederum wurde dann das Baujahr angehängt. Nach dieser Logik hatte zum Beispiel ein Leichenwagen der Baureihe Roadmaster aus dem Produktionsjahr 1948 die Typenbezeichnung FB21-748.
Leider ist die genaue Typenbezeichnung von Neil Youngs altem Flxible nicht bekannt. Auch das einzige Foto, das den damaligen Wagen des Musikers zeigt, gibt wenig Anhaltspunkte. Immerhin ist darauf erkannbar, dass es ein Wagen mit Heckklappe und zusätzlichen zwei Seitentüren war - also kein reiner Hecklader-Leichenwagen. Die Seitentüren machten den Wagen für eine Band wie die "Squires" natürlich noch praktischer und flexibler.
Mit Buick-Schaltgetriebe zum Weltruhm
Bedienungsanleitung |
Neil Youngs 1948er Buick/Flxible war übrigens einer der letzten, die mit dem manuellen 3-Gang-Getriebe ausgestattet waren. Buick hatte während des Baujahrs 1948 nämlich sein erstes Automatikgetriebe auf den Markt gebracht. Das nannte sich Dynaflow und war für Buick-Kunden beim Roadmaster Baujahr
1948 erstmals als Extra-Ausstattung erhältlich.
Bei Fahrzeugen, die von Flxible hergestellt wurden, war es dagegen genau andersrum: Hier war schon im Modelljahr 1948 die Automatik Serienausstattung. Das manuelle Schaltgetriebe musste man statt dessen eigens als Extra bestellen.
Das Dynaflow-Getriebe von Buick war eine 2-Gang-Automatik, die ursprünglich für den M18-Panzer der US-Armee entwickelt worden war. Die meisten der knapp 650 im Jahr 1948 gebauten Buick Roadmaster wurden dann auch gleich mit diesem komfortablen Automatikgetriebe bestellt. Im nächsten Produktionsjahr 1949 gab es die Wagen ausschließlich mit Automatik. Die Produktion des manuellen Getriebes stellte Buick 1949 ganz ein.
Das dürfte vermutlich auch einer der Gründe dafür sein, dass Neil Young nach dem Zusammenbruch des Wagens im Juni 1965 tagelang erfolglos in Blind River auf ein Ersatzteil oder ein Ersatzgetriebe warten mussten. Das manuelle Schaltgetriebe war zu dem Zeitpunkt schließlich seit 17 Jahren nicht mehr auf dem Markt. Und vom Automatikgetriebe gab es inzwischen die 3. Generation. In dem kleinen Nest im kanadischen Ontario das passende Ersatzteil aufzutreiben, wäre also ein kleines Wunder gewesen.
Buick-Werbung für Dynaflow |
Die 1948 erstmals eingesetzte erste Generation der Dynaflow-Automatik von Buick hatte den Ruf, besonders sanft zu schalten. Das damals sonst übliche Ruckeln bei der Beschleunigung war wegen der besonderen Konstruktion dieses Getriebes nicht zu spüren. Den Komfort erkaufte sich Buick aber mit extrem langsamen Beschleunigungswerten.
Die mit der Dynaflow-Automatik ausgerüsteten Roadmaster hatten daher als Ausgleich 10 PS mehr unter Haube, als die Wagen mit manueller Schaltung. Trotzdem waren sie so träge, dass die Automatik bald den Spottnamen "Dynaslush" erhielt. Eine verbesserte zweite Generation kam dann 1953 auf den Markt, eine dritte folgte im Jahr 1958.
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