Gleich in der ersten Strophe erinnert sich Neil Young, wie er zum ersten Mal Bob Dylans berühmten Song "Like A Rolling Stone" hörte, wie beeindruckt er davon war, wie er diese Eindrücke mit nach Hause nahm, den Song abänderte und selber spielte. Aber nichts, so singt Neil Young, komme an das Erlebnis beim allerersten Hören heran. "Like A Rolling Stone" gehört nicht ohne Grund zu den einflussreichsten Rocksongs aller Zeiten.
Rollende Steine in der wackeligen Scheune
Neil Young war bereits 1963 in Winnipeg erstmals mit Bob Dylans Musik in Kontakt gekommen, bewunderte den Amerikaner wegen dessen Gitarrenspiels und seiner besonderen Stimme. Später, 1965 in Toronto, übernahm er einige von dessen akustischen Songs für sein eigenes Folk-Soloprogramm, mit dem er im Winter 1965 erfolglos durch Torontos Coffehouses tingelte.
Mit den umgruppierten "Squires", die sich in Toronto "Four To Go" nannten, spielte Neil Young zudem auch Songs von Bob Dylans erstem elektrischen Album. Für den einzigen Auftritt von Neil Youngs erfolglosester Gruppe, ein Gig am Halloween-Abend 1965 in einer Skihütte namens "Wobbly Barn" im Wintersportgebiet von Vermont, probte die Band eilig Dylans "Just Like Tom Thumb's Blues" - wie "Like A Rolling Stone" ebenfalls vom Album "Highway 61 Revisited".
"The Wobbly Barn" gibt's noch heute |
Der lustlos runtergespielte Gig am Abend kam dann weder beim Aprés-Ski-Publikum noch beim Manager der Skihütte gut an. Das Engagement für den Rest der Woche war somit gestorben. Am Tag darauf verließen Neil Young und Bassist Ken Koblun das Skigebiet in Richtung New York, um dort Stephen Stills zu besuchen. Drummer McDonald reiste zurück nach Toronto. Die Band "Four To Go" wurde aufgelöst.
Die traurige Episode im Schnee von Vermont kann als musikhistorischer Treppenwitz in Neil Youngs Karriere gelten: Denn genau jenes "La Bamba" inspirierte nämlich Bob Dylan zu seinem Klassiker "Like A Rolling Stone" - dem wohl wichtigsten Rocksong aller Zeiten. Bob Dylan gibt an, beim Komponieren mit dem Riff von "La Bamba" begonnen zu haben:
"My wife and I lived in a little cabin in Woodstock, New York, which we rented. I wrote the song there. . . It just came, you know it started with that 'La Bamba' riff." (Bob Dylan, Liner Notes zum Box Set "Biograph", 1985)
Würde Neil Young "La Bamba" damals in der Ski-Hütte doch gespielt haben, hätte er diese Vorgeschichte gekannt? Es gehört wohl mit zu den kuriosesten Wendungen in Neil Youngs Karriere, dass er ausgerechnet von Bob Dylan zu einem ersten Intermezzo als Solo-Folksänger mit akustischer Gitarre inspiriert wurde, sogar dessen Songs übernahm. Dann aber ausgerechnet ein Engagement und eine Band wegen eines verweigerten Hits verlor, der Bob Dylan immerhin als Inspiration für seinen Jahrhundertsong diente.
Neil Young und Bob Dylan in Toronto
Neil Young saß 1965 in Toronto musikalisch zwischen den Stühlen. Mit den "Squires" und deren Nachfolger "Four To Go" spielte er elektrischen Folk-Rock, der aber weder zur akustischen Coffeehouse-Folk-Szene im Studentenviertel Yorkville passte, noch zum rockigen Toronto-Rocksound der Clubs in der Yonge-Street.
Neil Young geriet zunächst in den Dunstkreis der "Folkies", wohnte bei Sängerin Vicky Taylor und hing mit den Folkgitarristen David Rea und Craig Allen herum, die ihm Fingerpicking, Open Tunings und den Konsum von Haschisch beibrachten. Bob Dylan, eine der Ikonen der Folkbewegung war stets Thema dieser Clique. Erst Recht, als diese Musikikone im Sommer 1965 den unerhörten Tabubruch beging, mit einer elektrischen Gitarre auf der Bühne zu erscheinen - und das ausgerechnet auch noch mit Musikern aus Toronto. Bob Dylan hatte nämlich nach anfänglichen Experimenten mit Mitgliedern der Paul Butterfield Bluesband "The Hawks" verpflichtet. Die später als "The Band" berühmt gewordene Truppe um Robbie Robertson und Levon Helm hatte er in Toronto gecastet, wo sie in den Clubs der Yonge-Street auftraten.
Bob Dylan und Robbie Robertson |
Neil Young war damals Zeuge eines der Konzerte in der Massey Hall. Wie John Einarson im Buch "Don't Be Denied" berichtet, hatten ihm Mitglieder der Folkgruppe "The Three Blind Mice", die Neil Young aus Winnipeg kannte, eine Konzertkarte besorgt. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass er "Like A Rolling Stone" erst auf dem Konzert zum ersten Mal hörte. Die Single war schließlich seit vier Monaten auf dem Markt und in den Charts. Sicher wird ihn das Konzert und die beiden unterschiedlichen Teile aber schwer beeindruckt haben. Die Textzeilen "I felt the magic and I took it home / Gave it a twist and made it mine" über den Song in "Twisted Road" könnte ein Hinweis auf das Konzert sein, von dem er den Song in Gedanken mitbrachte und sich selber auf der Gitarre aneignete.
Nachweislich selber gespielt hat Neil Young "Like A Rolling Stone" aber erst sehr viel später: 1976 bei einem unrühmlichen Aufrtitt mit der Band "Spirit" und 1988 zusammen mit Bob Dylan als Gast auf dessen "Never Ending World Tour".
Bob Dylan als Vorbild
Auch Bob Dylans Konzept von 1965, zunächst ein akustisches und dann ein elektrisches Set zu spielen, hat Neil Young später immer wieder praktiziert.
Single mit Song in 2 Teilen |
Neil Youngs Faible für lange Stücke und seine mangelnde Rücksichtnahme auf die schwerere kommerzielle Verwertung solch langer Songs mögen auch damit zu tun haben. Bob Dylans "Like A Rolling Stone" hat Neil Young womöglich schon früh deutlich gemacht, dass man auch mit Eigensinn und gegen den Trend Erfolg haben kann.
"La Bamba" und "Like A Rolling Stone"
Beim ersten Hinhören fallen Ähnlichkeiten zwischen den beiden Songs gar nicht auf. Hätte Bob Dylan nicht selber darauf hingewiesen, dass ihn Richie Valens Hit aus dem Jahr 1958 für das melodische Grundgerüst seines eigenen Songs diente, wäre man gar nicht darauf gekommen. Zumal das zugrunde liegende I-IV-V Akkordschema auch in vielen anderen Songs vorkommt.
Richie Valens († 1959) |
Im Juni 1965, bei den Aufnahmesessions zu "Highway 61 Revisited" arrangierte Bob Dylan den Song dann mit Mike Bloomfield an der Gitarre und Al Kooper an der Orgel neu - diesmal im 4/4-Takt. Das "La Bamba" Motiv kann man nach Meinung einiger Musikkritiker noch am ehesten in den frühen Live-Fassungen mit den Musikern der Butterfield -Band heraushören.
Richie Valens "La Bamba" und Bob Dylans "Like A Rolling Stone" haben aber noch eine andere Gemeinsamkeit. "La Bamba" ist eigentlich ein 300 Jahre altes mexikanisches Volkslied aus der Region um Veracruz, das ursprünglich bei Volksfesten und Hochzeiten gespielt wurde. Richie Valens, Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln, hatte aus dem Volkslied 1958 einen Rock'n Roll Song mit elektrischen Gitarren gemacht, der weltweit ein Riesenhit wurde und bis heute unzählige Coverversionen aufweist. Für das mexikanische Liedgut war Richie Valens also im Grunde genau das, was Bob Dylan mit "Like A Rolling Stone" für die amerikanische Folkmusik war.
Richie Valens kam schon am 3. Februar 1959, wenige Monate nach seinem Erfolg mit "La Bamba" bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Bei dem Unglück starb auch Buddy Holly, der in der gleichen Maschine saß. Nur zwei Tage zuvor besuchte der damals 17-jährige Bob Dylan ein Konzert von Buddy Holly in Duluth, Minnesota. Der 14-jährige Neil Young klimperte da noch in Toronto auf seiner billigen Plastik-Ukulele herum, die er ein paar Wochen zuvor von seinen Eltern geschenkt bekam.
Richie Valens kam schon am 3. Februar 1959, wenige Monate nach seinem Erfolg mit "La Bamba" bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Bei dem Unglück starb auch Buddy Holly, der in der gleichen Maschine saß. Nur zwei Tage zuvor besuchte der damals 17-jährige Bob Dylan ein Konzert von Buddy Holly in Duluth, Minnesota. Der 14-jährige Neil Young klimperte da noch in Toronto auf seiner billigen Plastik-Ukulele herum, die er ein paar Wochen zuvor von seinen Eltern geschenkt bekam.
"La Bamba" Revisited
Videos
Neil Young - "Twisted Road", 2012
Bob Dylan - Like A Rolling Stone Live mit Publikumsbeschimpfung, 1966
Richie Valens - La Bamba, 1958
Los Lobos - La Bamba, 1987
Interview mit Bob Dylan
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