Juli 06, 2012

Neil Youngs Leichenwagen restauriert - Mort 3 als Mietwagen

Front 1948 Buick Roadmaster Hearse
1948er Buick Roadmaster
"Mort" lebt - und zwar in England! Jedenfalls wird dort gerade ein Zwilling von Neil Youngs altem Leichenwagen aufwendig restauriert. "Mort 3" soll Ende nächsten Jahres fertig und im Jahr darauf auch zu mieten sein - ziemlich genau 50 Jahre, nachdem Neil Young seinen Wagen in Winnipeg kaufte. 

Es handelt sich technisch um fast den gleichen 1948er Buick Roadmaster Hearse, den Neil Young 1964 bis 1965 als Bandwagen mit "The Squires" nutzte. Einzige Unterschiede: Der Zwilling besitzt ein automatisches Getriebe und war weiß überlackiert. Neil Youngs Buick dagegen war bekanntlich schwarz und hatte ein manuelles 3-Gang-Getriebe.

Der Defekt eben jenes Getriebes sorgte dann für das unrühmliche Ende von "Mort" im kleinen Ort Blind River in Ontario. Dort ließ der kanadische Musiker nicht nur den fahruntüchtigen Wagen, sondern gleich sein bisheriges Musikerleben zurück, um in Toronto ganz neu anzufangen. Der Getriebeschaden von "Mort" war einer der wichtigsten Wendepunkte in der Karriere von Neil Young. Der hat dem Ereignis später im Song "Long May You Run" ein musikalisches Denkmal gesetzt.

Keith Knights and his 1948 Buick Roadmaster hearse
Keith Knights vor seinem Roadmaster
Der "Mort"-Zwilling gehört Keith Knights, der im englischen Norfolk die auf Wasserpflanzen spezialisierte Gärtnerei "Acre Meadow" betreibt. Den 1948er Buick Roadmaster Hearse hat der Gärtner im November 2010 aus den USA importiert. Innerhalb von drei Jahren soll der Wagen komplett restauriert sein. Danach will Knight den Leichenwagen als Hochzeitsauto (!) vermieten - typisch britischer Humor.

"Man muss schon die britische Mentalität haben, um das zu verstehen", erzählt Keith Knights auf Anfrage von Rusted-Moon. Und auch längst nicht jeder Brite würde so Hochzeitswagen wirklich mögen. Knight: "Aber eine spezielle Minderheit wird den Wagen lieben". Ein Paar musste er schon enttäuschen, weil der Leichenwagen nicht rechtzeitig zu ihrer Hochzeit fertig wird.

Knights denkt, dass der Buick bei Beerdigungen auch gut hinter einem zweiten Leichenwagen aussehen würde. Er plant auch schon, einen weiteren Wagen zu kaufen: "Dann aber keinen Buick aus der gleichen Epoche." Rusties auf der Insel steht also ab dem nächsten Jahr für Hochzeiten und Todesfälle ein absolut stilechtes Gefährt zur Verfügung. Wer möchte da nicht unter die Haube oder unter die Erde ...


Gebaut am 7. November


Wie Neil Youngs kanadischer Hearse, so wurde auch der englische Wagen im Jahr 1948 gebaut. Keith Knights weiß sogar, wann genau sein Wagen die Fabrik verließ: am 7. November 1948. Erster Besitzer war ein Bestattungunternehmen in Wellington, Kansas. Das erklärt auch die schwarze Originalfarbe, die unter der weißen Überlackierung zu erkennen ist.

Side view 1948 Buick Roadmaster hearse
2011: Ankunft in England
Danach fuhr eine unbekannte amerikanischen Rockband den Wagen - was für ein Zufall. Leichenwagen waren damals durchaus populär bei Musikbands. Neben einem für Rockmusiker nicht unwillkommenen Schockeffekt, boten die Autos nämlich viel Stauraum für's Equipment.

Außerdem waren sie recht billig zu bekommen - welcher normale Gebrauchtwagenkunde will schon einen Leichenwagen? Neil Young kaufte 1964 seinen "Mort" laut Biographie "Shakey" mit finanzieller Unterstützung seiner Mutter Rassy für 150 Dollar. [UPDATE: Neil Young selber schreint in seiner 2012 erschienen Autobiogaphie von 125 Dollar, die seine Mutter bezahlte.] "Squires"-Bassist Ken Koblun, gleichzeitig auch Kassenwart der Band, erinnerte sich dagegen in einem Interview, das Geld aus der Squires-Gemeinschaftskasse bezahlt zu haben. Koblun konnte sich außedem noch an eine weitere Band in ihrem Unfeld erinnern, die einen Leichenwagen fuhr.

Zurück zu "Mort 3": Der dritte Besitzer ließ den Wagen dann über Jahrzehnte in Kansas vergammeln, ehe er 2011 über einen Händler in Oklahoma den Weg nach England fand. Dort wurden inzwischen erste Restaurierungsarbeiten an dem über 6,30 Meter langen Ungetüm erledigt. Die Arbeiten dokumentiert Keith Knights übrigens auf seiner Internetseite in Text und Fotos (Link unten).

Chassis of 1948 Buick Roadmaster hearse
Mai 2012: Entkernter Hearse
Als Problem stellte sich immer wieder die Ersatzteilbeschaffung heraus. Vieles muss aufwendig in den USA, teilweise über Ebay, gesucht werden. Am 4. August gibt es übrigens einen "Tag der offenen Tür", an dem sich Besucher der Gärtnerei über das Projekt und den Wagen informieren können.

Im Winter soll der Wagen dann erste Fahrversuche auf dem Hof machen. Die Lackierungsarbeiten, erzählte Keith Knights gegenüber Rusted-Moon, sind für den Sommer 2013 geplant, die Polsterarbeiten an den verschlissenen Sitzen und dem Samt der Innenverkleidung für den folgenden Herbst. Dann gilt: "Long May He Run ..."


Die Geschichte des Buick Roadmaster


Flxible
Firmenlogo
Wenig bekannt ist der Umstand, dass der Leichenwagen nur formal ein Buick Roadmaster war. Tatsächlich wurden diese Wagen nämlich nicht von Buick selber, sondern von der Firma Flxible konstruiert, hergestellt und vertrieben. Flxible (ohne "e") hatte von 1913 bis zum Konkurs im Jahr 1996 seinen Sitz in Loudonville, Ohio. Dort stellte man zunächst unter dem Firmennamen "Flexible Sidecar Company" Motorräder mit Seitenwagen her, ehe man auf Leichenwagen und Stadtbusse umstieg. Im 2. Weltkrieg produzierte die Firma unter anderem Teile für Panzer.

Nach dem Krieg baute die Firma Überlandbusse sowie wieder ihre Spezialfahrzeuge für den Kranken- und Leichentransport. Dafür wurden die Chassis und Teile von Serienfahrzeugen der Hersteller Buick, Studebaker, Cadillac verwendet. Bei Flxible schnitt man die Chassis dieser Autos auseinander, verstärkte und verlängerte sie. Kühlergrill, Kotflügel sowie Motor und Getriebe stammten überwiegend vom Originalfahrzeug.

Seat of 1948 Buick Roadmaster hearse
Ragged Glory: Die Sitzbank vorne
Diesen Buick-Umbau brachte Flxible dann  in zahlreichen Varianten auf den Markt: Der Wagen war in den zwei unterschiedlichen Buick-Modellreihen "Super" und "Roadmaster" verfügbar. Beide Modellreihen waren dann noch entweder als reiner Krankenwagen oder als reiner Leichenwagen erhältlich. Der Krankenwagen hatte an der Front und auf dem Dach Blaulichter und Sirene angebaut. Der Leichenwagen war als Hecklader sowie als Ausführung mit Hecktür und zusätzlichen Seitentüren lieferbar.

Eine weitere beliebte Variante was das sogenannte "Combination Car" - ein Art "eierlegende Wollmilchsau". Diese Version war nämlich sowohl als Krankenwagen, als auch als Leichenwagen gleichzeitig nutzbar. Ein paar Handgriffe genügten zur Umrüstung. Solche "Combination Cars" waren vor allem in kleineren amerikanischen Gemeinden beliebt, wo sich zwei einzelne Spezialfahrzeuge nicht rentierten.

Die unterschiedlichen Modellvarianten hatten spezielle Typenbezeichnungen, aus denen sich der Verwendungszweck ablesen lässt. Fans der Autos und Busse von Flxible bilden ein rührige Internetgemeinde, besitzen alte Listen der Firma, tauschen Ersatzteile und Erfahrungen aus. Laut der Typenliste für die Jahre bis 1953 steht das Kürzel FB21 zum Beispiel für "Hecklader-Leichenwagen". FB22 bedeutet "Krankenwagen". "Combination Cars" hatten das Kürzel FB23. Es gab auch noch reine Servicewagen mit dem Kürzel FB24. Daran wurde dann eine dreistellige Ziffernkombination angehängt, bei der 5 für die Super-Variante stand. Die Roadmaster-Version hatte die Ziffer 7. Daran wiederum wurde dann das Baujahr angehängt. Nach dieser Logik hatte zum Beispiel ein Leichenwagen der Baureihe Roadmaster aus dem Produktionsjahr 1948 die Typenbezeichnung FB21-748.

Plate of 1948 Buick Roadmaster hearse
Typenschild eines 1948er Modells
Leider ist die genaue Typenbezeichnung von Neil Youngs altem Wagen nicht bekannt. Auch das einzige Foto, das den Hearse zeigt, gibt wenig Anhaltspunkte. Immerhin ist darauf erkannbar, dass es ein Wagen mit Heckklappe und zwei Seitentüren war - also kein reiner Hecklader-Leichenwagen. Das Foto wurde im April 1965 in Winnipeg aufgenommen, kurz bevor Neil Young, Bassist Ken Koblun und Drummer Bob Clark mit dem Leichenwagen zu ihrer letzten Reise nach Fort William aufbrachen. Fotografin war Bob Clarks Mutter Liz Clark.

Auf der Hinreise nach Fort William im April 1965 gab es dann erste Getriebeprobleme, die dann wenige Wochen später zum Lebensende des Autos führen sollten.

UPDATED: In seiner Autobiographie "Waging Heavy Peace", die im September 2012 erschien, beschreibt Neil Young einige Details seines Leichenwagens. Danach hat er den Wagen aufgrund eines Zeitungsinserates eines örtlichen Bestattungsunternehmens gefunden. Er hatte sogar sie Auswahl zwischen zwei identischen Wagen, die sich nur in der Farbe der Samtbezüge unterschieden: blau und burgundrot. Neil Young kaufte den mit blauem Samt ausgeschlagenen Roadmaster für 125 kanadische Dollars. Die Rechnung zahlte seine Mutter Rassy. Das war im Herbst 1964.


Mit Buick-Schaltgetriebe zum Weltruhm


1948 Buick Dynaflow Manual
Bedienungsanleitung
Neil Youngs 1948er Buick war einer der letzten, die mit dem manuellen 3-Gang-Getriebe ausgestattet waren.  Buick hatte im Baujahr 1948 nämlich sein erstes Automatikgetriebe auf den Markt gebracht. Das nannte sich Dynaflow und war für Buick-Kunden beim Roadmaster Baujahr 1948 erstmals als Extra-Ausstattung erhältlich.

Bei Fahrzeugen, die von Flxible hergestellt wurden, war es dagegen genau andersrum: Hier war schon im Modelljahr 1948 die Automatik Serienausstattung. Das manuelle Schaltgetriebe musste man statt dessen als Extra bestellen.

Das Dynaflow-Getriebe von Buick war eine 2-Gang-Automatik, die ursprünglich für den M18-Panzer der US-Armee entwickelt worden war. Die meisten der  knapp 650 im Jahr 1948 gebauten Buick Roadmaster wurden dann auch gleich mit dem komfortablen Automatikgetriebe bestellt. Im nächsten Produktionsjahr 1949 gab es nur noch die Automatik ab Werk. Die Produktion des manuellen Getriebes stellte Buick ein.

Das dürfte vermutlich auch einer der Gründe dafür sein, dass Neil Young und Terry Erickson im Juni 1965 tagelang erfolglos in Blind River auf ein Ersatzteil oder ein Ersatzgetriebe warten mussten. Das manuelle Schaltgetriebe war schließlich seit 17 Jahren nicht mehr auf dem Markt. Und vom Automatikgetriebe gab es inzwischen die 3. Generation. In dem kleinen Nest in Ontario das passende Ersatzteil aufzutreiben, wäre also ein Wunder gewesen.

1948 Buick Dynaflow Ad
Buick-Werbung für Dynaflow
Die 1948 erstmals eingesetzte erste Generation der Dynaflow-Automatik von Buick hatte den Ruf, besonders sanft zu schalten. Das damals sonst übliche Ruckeln bei der Beschleunigung war wegen der besonderen Konstruktion dieses Getriebes nicht zu spüren. Den Komfort erkaufte sich Buick aber mit extrem langsamen Beschleunigungswerten.

Die mit der Dynaflow-Automatik ausgerüsteten Roadmaster hatten daher 10 PS mehr unter Haube, als die Wagen mit manueller Schaltung. Trotzdem waren sie so träge, dass die Automatik bald den Namen "Dynaslush" erhielt. Eine verbesserte zweite Generation kam dann 1953 auf den Markt, eine dritte folgte im Jahr 1958.

Wer weiß, wie sich Neil Youngs Karriere entwickelt hätte, wäre damals nicht das alte manuelle Getriebe in seinem Roadmaster eingebaut gewesen. Eine Getriebeautomatik hätte der sparsame Jungmusiker nämlich nicht auf Gefällestrecken auskuppeln können, um Benzin zu sparen. Mit einem funktionierenden Automatikgetriebe hätte es Neil Young und Kumpel Terry Erickson 1965 wohl auch nach Sudbury schaffen können, wo Erickson damals einen Gig verabredet hatte. Vermutlich wäre Neil Young heute noch in der kanadischen Provinz ansässig - ob als Musiker oder als Hühnerzüchter.

Man kann Buick also sehr dankbar dafür sein, dass sie im Produktionsjahr 1948 noch ein paar alte Schaltgetriebe in die Roadmaster-Serie einbauten ...


Video eines 1948 Buick Roadmaster hearse:



Links:


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