Februar 18, 2012

Harvest in der DDR - Volkseigener Plattenbau

Neil Young - Harvest - DDR
Eine aus deutscher Sicht besonders interessante Ausgabe von „Harvest“ ist 1989 in der DDR auf dem "Amiga“-Label erschienen. 17 Jahre, nachdem Neil Young sein Album herausbrachte – und unmittelbar bevor die DDR aufhörte zu existieren – kam „Harvest“ hinter dem „Eisernen Vorhang“ in die Läden. Das ist auch deshalb erstaunlich, weil der Kanadier nie einen Fuß auf sozialistischen Boden gesetzt hat. Anders, als zum Beispiel Bob Dylan oder Bruce Springsteen, die sogar in der DDR auftraten. Näher, als auf einer westlichen Aussichtsplattform an der Berliner Mauer im Jahre 1982, ist Neil Young dem Osten also nie gekommen. Übrigens auch nach dem Fall der Mauer nicht.

„Amiga“ war das für populäre Musik zuständige Label des staatlichen Tonträgerproduzenten "VEB Deutsche Schallplatten Berlin". Was man damals auf Vinyl presste, wurde aber im Wesentlichen vom Ministerium für Kultur bestimmt. Neben einem ausgewogenen Mix der Musikgenres wurde dabei auch auf den kulturpolitischen Überbau geachtet. Beat- und Rockmusik war in der Staatsführung nämlich verpönt, galt sogar als "Werk des Klassenfeindes", der die Jugend des Arbeiter und Bauernstaates verdummen und "zu Exzessen aufputschen" sollte. In einer legendären Rede vor dem ZK 1965 geißelte der spätere Staats- und Parteichef Erich Honecker den schädlichen Einfluss "dieser Musik" (Video unten). Als „Harvest“ im Jahre 1972 erschien war übrigens Klaus Gysi, Vater von Gregor Gysi, im ZK Minister für Kultur und zuständig für das "Amiga"-Label.

Devisenknappheit


Neil Young - Harvest - LabelNeben den politischen Vorgaben spielte aber auch die Devisenfrage eine große Rolle bei der Auswahl ausländischer Künstler. Lizenzen für die Veröffentlichung westlicher Platten mussten von der DDR in "Westgeld" bezahlt werden – und das war notorisch knapp. Ein Großteil des "Amiga"-Programms bestand daher neben einheimischen Künstlern aus Platten ungarischer oder tschechischer Bands, die preiswerter für sogenannte "Transferrubel" zu haben waren.

Erst in den 80er Jahren, als auch in der DDR die von MTV- und Westfernsehen geprägte Jugend nach mehr Auswahl im Plattenregal verlangte, wurden verstärkt westliche Lizenzen eingekauft. Dabei achtete man aber weiter darauf, dass die Künstler möglichst ihre musikalische Qualität mit „bürgerlich-humanistischer bzw. sozialistischer Haltung“ vereinten. Sozialkritische Texte und Positionen hatten es dabei einfacher, als schlichtere Rock- und Popalben.


Zensierte Billigcover


Neil Young - Harvest - Amiga Credits
Amiga-Credits
(Click to enlarge)
Auch die Produktion der Alben selber stand ganz im Zeichen des sozialistischen Alltags. Der "Plattenbau" war damals eine komplexe Angelegenheit: Zum einen musste bei der Covergestaltung auf politische Korrektheit geachtet werden. Was nicht ins Bild passte, wurde retuschiert, wie etwa der Schlagzeuger von Herbert Grönemeyer, der 1978 aus der DDR ausgereist war. Auch politisch nicht genehme Symbole oder Covertexte fielen der Zensur zum Opfer.

Die Neugestaltung der Cover war aus Kostengründen meistens aber ohnehin fällig. Um Papier und Druckfarbe zu sparen, wurden statt Klappcover stets einfache Cover verwendet. Die Innenhüllen waren prinzipiell unbedruckt, Textbeilagen fehlten. Singles kamen sogar meist ganz ohne individuelle Cover auf den Markt. Die Pressung des Vinyls selber war dagegen ohne Fehl- und Tadel. Das einzige Presswerk der DDR stand in Potsdam-Babelsberg und gehörte vor dem Krieg der "Tempo Schallplatten GmbH Otto Stahmann". Den Coverdruck erledigte das VEB-Druckkombinat in Gotha.

Neil Young - Harvest - Audiokassette
Amiga-Kassette von "Harvest"
Auch die „Harvest“-LP von "Amiga" kam 1989 mit der Katalognummer 8 56 440 in einer dieser DDR-Sparvarianten heraus. Statt Joel Bernsteins bekanntes Türknauf-Fotos im Innenteil oder des Fotos in der Scheune gab es auf der Rückseite ein kleines, auf dem Original nicht vorhandenes Foto. Offenbar wollte man Neil Young nicht als Ranch-Besitzr darstellen. Der Rest der Rückseite ist reine Bleiwüste. Darunter eine zweispaltige Biographie von Neil Young, geschrieben von Michael Manthey, Redakteur beim Berliner Rundfunk.

Interessante Details: Die Laufzeitangaben weichen alle vom Original ab. Wobei manche Songs länger, andere kürzer laufen, als im US-Original. In der DDR tickten die Stoppuhren offenbar anders.

Auch unterschlagen die DDR-"Plattenbauer" den Produzenten Elliot Mazer, der immerhin die Mehrzahl der Songs in seinem Studio in Nashville produziert und aufgenommen hatte. "Kompositionen, Texte und Arrangements" werden statt dessen ausschließlich Neil Young zugeschrieben. Dagegen wird Jack Nitzsche als "Urheber der Orchester-Arrangements" aufgeführt. Warum Produzent und Studiobsitzer Elliot Mazer den DDR-Kulturbürokraten missfiel, ist nicht bekannt.

Neben der Vinyl-LP kam 1989 auch noch eine Audiokassette von "Harvest" unter dem "Amiga"-Label heraus. Während die LP 16,10 DDR-Mark kostete, musste man für die Musikkassette immerhin stolze 23,65 DDR-Mark berappen.


Video: "Niemand in unserem Staate hat etwas gegen eine gepflegte Beatmusik" - Erich Honecker, späterer Staats- und Parteichef der DDR, auf dem 11. Plenum des ZK der SED, Dezember 1965:



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2 Kommentare :

  1. Dass Neil Young nie im Osten Deutschlands war, stimmt so nicht. 2008 hat er in Leipzig gespielt.

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  2. Er war sogar mehrmals in Leipzig und auch in Erfurt! Aber da war der deutsche Osten eben schon nicht mehr "DER" Osten. Gemeint ist hier, dass Neil Young VOR 1989 nicht in der DDR und NACH 1989 nicht östlicher als EX-DDR aufgetreten ist (bis auf 1 mal Prag mit Pearl Jam)

    Genaue Statistiken und Diskussion dazu hier: http://www.rusted-moon.com/2011/10/neil-young-und-die-mauer-in-den-kopfen.html

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