"I'm dreaming of a White Christmas" - Ein kitschiger Weihnachtsklassiker, der in diesen Tagen oft erklingt. Ob auch Neil Young von einer weissen Weihnacht träumt, dürfte eher fraglich sein. Der gebürtige Kanadier hat in seiner nördlichen Heimat genug Schnee und Kälte erlebt. Er bevorzugt im Winter Kalifornien oder Hawaii.
Neil Youngs musikalische Frühzeit aber ist reich an Anekdoten und abenteuerlichen Wintergeschichten. Mit seiner Band, "The Squires", trat der Musiker in vielen Orten und entlegenen Nestern in den Weiten Kanadas auf. Meist hielten sich die Entfernungen aber in Grenzen - jedenfalls für kanadische Verhältnisse. Mit dem Zug, Mutter Rassys Kleinwagen, Autos von Kumpeln oder später Neil Youngs altem Leichenwagen ging es seit Anfang 1963 zu den Auftritten rund um Winnipeg. Im langen kanadischen Winter war das oft kein Vergnügen.
Seltenes Fotodokument: Hudson Hotel in Churchill, 1971 (CREDIT: NWT Archives/Northwest Territories. Dept. ofInformation fonds/G-1979-023: 0842) |
Den wohl weitesten und abenteuerlichsten Trip machten "Neil Young and the Squires" aber im April 1965: Für eine Woche ging es in das eiskalte und tief verschneite Churchill, hoch im Norden Manitobas. Die Fahrt mit dem Zug von Winnipeg nach Churchill ging über 1.700 Kilometer. Die Strecke hat über 80 Stationen und eine Fahrt dauert auch heute noch zwei volle Tage. In dem entlegenen Nest an der Hudson Bay, im Permafrost der kanadischen Tundra, spielten "Neil Young and the Squires" vom 8. bis 14. April 1965 im örtlichen Hudson Hotel.
In der von "Squires"-Bassist Ken Koblun penibel geführten Gig-Liste ist außer den sieben Auftritten im Hudson Hotel auch noch ein Gig im örtlichen Navy Club verzeichnet. Am 11. April, einem Samstag, traten die "Squires" also gleich zwei Mal auf. Das brachte ihnen laut Kobluns Liste zusätzliche 30 kanadische Dollar Gage ein. Für die sieben Auftritte im Hudson Hotel erhielt die Band insgesamt 150 Dollars.
In der von "Squires"-Bassist Ken Koblun penibel geführten Gig-Liste ist außer den sieben Auftritten im Hudson Hotel auch noch ein Gig im örtlichen Navy Club verzeichnet. Am 11. April, einem Samstag, traten die "Squires" also gleich zwei Mal auf. Das brachte ihnen laut Kobluns Liste zusätzliche 30 kanadische Dollar Gage ein. Für die sieben Auftritte im Hudson Hotel erhielt die Band insgesamt 150 Dollars.
Viel Alkohol und wenig Frauen
Streicholzheftchen des Hudson Hotels (courtesy of Eileen Jacob) |
Schwer verdientes Geld für Neil Young, Ken Koblun und Bob Clark, die zu dieser Zeit die "Squires" bildeten. Das Publikum bestand überwiegend aus einheimischen Hafenarbeitern, Jägern und Militärangehörigen, die aber offenbar mehr dem Alkohol, als der Musik der "Squires" zugetan waren. Neil Young erinnerte sich, laut Autor John Einarson, an rauhe und seltsame Gestalten. Einmal fand man einen der Zuschauer am nächsten Tag erfroren im Schnee liegen, weil er nach durchzechter Nacht betrunken auf dem Heimweg eingeschlafen war.
Das Hudson Hotel war damals neben dem Churchill Hotel die einzige Herberge am Ort. Es hatte laut Eigenwerbung "24 moderne Zimmer" und eine Bar, in der es zur Musik der "Squires" offenbar hoch herging. Ein Streichholzheftchen des Hotels warnte sogar augenzwinkernd davor, pures Wasser zu trinken. Ob das Ehepaar Gauthier auch zu Neil Youngs Zeiten noch das Hotel betrieb, ist nicht bekannt. Wasser dürften aber auch andere Betreiber eher wenig ausgeschenkt haben. Alkohol war im eiskalten Churchill das bessere "Frostschutzmittel".In Churchill kam der Weihnachtsmann im Hundeschlitten ( courtesy of Eileen Jacob) |
Im ganzen Ort, der damals wegen der hohen Militärpräsenz insgesamt etwa 7.000 Einwohner hatte, habe es zudem nur drei Frauen gegeben, erinnert sich Neil Young - Eine nicht ganz realistische Einschätzung. Viele Militärangehörige lebten mitsamt Familie in Churchill oder in den Forts. Es gab sogar ein ausgeprägtes gesellschaftliches Leben in dem abgelegenen Nest, das Eileen Jacob auf ihrer Webseite "Churchill Reminiscence Gallery" in Text und Bildern beschreibt. Sie lebte mit Ehemann und Kindern Mitte der 50er Jahre in Churchill. Viel anders wird es dort auch ein paar Jahre später nicht ausgesehen haben.
Unbestrittener Höhepunkt der Woche mit "Neil Young and the Squires": Einer der Gigs wurde durch einen Eisbären unterbrochen, der sich auf der Suche nach Wärme unter den Fußboden des Hotels geschlichen hatte.Neil Youngs Pinguin Song
John Einarson schreibt in "Don't Be Denied" auch von einem Songtext, den Neil Young in diesem "Winter Wonderland" an der Hudson Bay schrieb. Das Lied avancierte schnell zum Schlager unter den rauhen Gästen im Hudson Hotel. Zur Melodie des Songs "The Birds and the Bees", mit dem Jewel Akens in jenem Jahr 1965 einen weltweiten Hit hatte, sangen die "Squires":
"Let me tell you 'bout a thing called snowLaut John Einarson soll Neil Young den Song ein paar Wochen später in Fort William auch seinem neuen Bekannten Stephen Stills vorgespielt haben.
when it's fourty-five below
and a penguin I know". [...]
Keine Straße führt nach Churchill
Zug am verschneiten Bahnhof |
Fahrplan (click to enlarge) |
Churchill hat heute nur noch knapp 1.000 Einwohner und ist immer noch nur über eine Eisenbahnstrecke oder per Flugzeug mit dem Rest Kanadas verbunden. Es führen keine Straßen in den abgelegenen Ort. Churchill lebte früher überwiegend vom Getreide, das in der eisfreien Zeit über den Hafen von Churchill nach Übersee verschifft wurde.
Auch ein Fort des kanadischen Militärs mit einer Raketenabschussbasis und eine Funkstation der Marine gab es am Rande des Ortes. Diese Militäreinrichtungen wurden aber schon Anfang der 70er Jahren wieder geschlossen. Die Aufritte von "Neil Young and The Squires" im April 1965 fielen also noch in die Blütezeit von Churchill.
Gegründet wurde Churchill Anfang des 18. Jahrhundert als Handelsposten der britischen "Hudson Bay Company". Die Gesellschaft machte in Kanadas Norden mit Indianern und Trappern gute Geschäfte beim Handel mit Biberpelzen. Das Verwaltungsgebäude der "Hudson Bay Company" mit seiner alten Kanone stand noch lange im Ortszentrum. Vom ersten Gouverneur der Company, John Churchill, erhielt der Ort dann auch seinen Namen.
Fast wie in "Pocahontas"
Die ganze Szenerie im Norden Manitobas erinnert stark an Neil Youngs Song "Pocahontas". Die berühmte Häuptlingstochter lebte zwar früher und viel weiter südlich. Ansonsten aber hätte "Pocahontas" durchaus auch in Churchill spielen können. Die vielen im Ort lebenden Indianer, der alte Pelzhandelsposten, die eiskalten, klaren Nächte, das leuchtende Nordlicht über der Tundra, die Flussmündung in die Hudson Bay - alles war wie in dem viel später entstandenen Song. Und jemand wie Marlon Brando hätte auch gut in die vom Alkohol geprägte Atmosphäre des alten Hudson Hotels gepasst.
Hauptstadt der Eisbären
Tundra-Buggy in Churchill |
Seit einigen Jahren bildet der Tourismus die Haupteinnahmequelle des Ortes. Churchill gilt als die Welthauptstadt der Eisbären-Liebhaber. Mit sogenannten "Tundra-Buggys" werden Fotosafaris zu den weißen Raubtieren durchgeführt. Die Touristen in den eigentümlichen Gefährten können die Bären damit aus nächster Nähe erleben.
Die Eisbären kommen jedes Jahr zu Anfang des Winters in Scharen aus dem Landesinneren in die Gegend um Churchill. Dort warten sie dann auf das Zufrieren der Hudson Bay, um auf Robbenjagd zu gehen. Nicht selten spazieren die Eisbären einfach mitten in den Ort hinein - ganz so wie damals, im April 1965. Das alte Hudson Hotel, in dem "Neil Young and the Squires" seinerzeit spielten, gibt es heute allerdings nicht mehr.Video von Jewel Akens und seinem Hit. Neil Young sang das Lied in Churchill mit neuem Text.
Was Neil Young damals vom Fenster aus sah. Zugfahrt von Portage la Prairie nach Churchill in einer Minute
Videofilm über Churchill, Manitoba
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