Neil Youngs musikalischer Werdegang begann bekanntlich mit einer „Arthur Godfrey“-Plastik-Ukulele, die ihm seine Eltern 1958 im kanadischen Städtchen Pickering kauften. Neil Young war damals knapp 13 Jahre alt und begann gerade, auf Schallplatten und in Radiosendungen den Rock’n Roll zu entdecken.
Dem Plastikinstrument folgten schnell weitere Viersaiter. An „eine bessere Ukulele, eine Banjo-Ukulele und eine Bariton-Ukulele“, erinnert sich der spätere Weltstar in Jimmy McDonoughs Biographie „Shakey“ an sein damaliges „Equipment“.
Über die Instrumente, die der „Arthur Godfrey“-Ukulele folgten, ist so gut wie nichts bekannt. Ukulelen waren damals populäre Instrumente und wurden unter unzähligen Markennamen vertrieben. Die Bariton-Ukulele hatte Neil Young wohl am längsten in Gebrauch, bevor er zwei zusätzliche Saiten aufzog und zur Gitarre wechselte. Comrie Smith, Schulfreund und erster musikalischer Wegbegleiter in Toronto, verbindet viele Erinnerungen an die Bariton-Ukulele, mit der Neil Young zusammen mit Comrie und anderen Schulfreunden sogar erste Banderfahrungen machte - wenn man das Zusammenspiel von ein paar Teenagern vor Radio oder Plattenspieler denn so nennen mag. Die Bariton-Ukulele blieb Neil Youngs Instrument bis zum Wegzug nach Winnipeg im Sommer 1960 und war damit etwa eineinhalb Jahre in Gebrauch.
In Winnipeg änderte sich Neil Youngs Leben dann radikal. Nach der Scheidung der Eltern, schon bald allein ohne Bruder bei seiner Mutter lebend, stieg er auf Gitarre um. Nach eigenen Angaben kaufte sich Neil Young in einem Laden in Winnipeg, „der auch Fender-Verstärker und gebrauchte Sachen verkaufte“, für 30 Dollar eine "Harmony Monterey" - eine akustische Archtop-Gitarre. Ganz sicher ist sich Young über die Einkaufsquelle nicht: „Es könnte auch eine Pfandleihe gewesen sein“.
Pfandleihe oder Musikgeschäft, nicht nur diese Frage liegt in Bezug auf die „Harmony“ im Dunkeln und ist damit ein weiterer Fall für „Aktenzeichen N.Y. ungelöst“ und „CSI NY“:
Für Irritationen sorgt zunächst Neil Youngs Mutter Rassy, die in „Shakey“ mir der Aussage zitiert wird, ihr Sohn habe auf der gesamten Fahrt von Toronto nach Winnipeg auf seiner Gitarre geklimpert. Die kanadische Autorin Sharry Wilson, die über Neil Youngs Jugendjahre in den Ausgaben 117 und 118 des „Broken Arrow Magazine“ publizierte und derzeit ein Buch vorbereitet, ist sich sicher, dass die Mutter hier nur Ukulele und Gitarre verwechselte. Für einen Kauf der Harmony schon in Toronto gibt es keine Hinweise
Preiswerte Instrumente von "Harmony"
Die „Harmony Monterey“ war eine akustische Archtop der unteren Preiskategorie. Der Gitarrentyp mit dem gewölbten Decke (= englisch „arch topped“) war auch in Deutschland in den 50er und frühen 60er Jahren unter der Bezeichnung „Schlaggitarre“ sehr populär. Hersteller wie Framus, Hopf oder Höfner hatten eine Vielzahl unterschiedlicher Modelle im Programm. Viele hatten auffällige Lackierungen, Griffbretteinlagen oder Kopfplatten im 50er-Jahre Nierentisch-Design. Diese Billigausgaben der großen Jazz Archtop-Modelle wurden in Tanzkapellen und den ersten Beatbands gespielt. Im Laufe der 60er Jahre wurden sie dann einerseits von den populärer werdenden Flat-Tops und Westerngitarren der Folkmusiker, anderseits von den richtigen E-Gitarren verdrängt. Archtops sind seither vorwiegend auf den Einsatz im Jazz beschränkt. Einen umfassenden Überblick über die deutschen Modelle dieser Zeit ist auf der Internetseitewww.schlaggitarren.de zu finden. Eine gute Übersicht gibt auch das deutsche Internetmagazin "Archtop Gemany".
Die US-Firma Harmony hat über viele Jahrzehnte für den amerikanischen Massenmarkt preiswerte Instrumente gebaut. Harmony wurde 1892 von dem deutschstämmigen Wilhelm Schultz gegründet und war zu ihrer Zeit der größte Instrumentenhersteller der USA. Das Sortiment umfasste nahezu alle Arten von Saiteninstrumenten – Violinen, Banjos, Mandolinen, Ukulelen.
Bei den Gitarren reichte das Angebot über Konzert- und Westerngitarren, akustische, Jazz-Archtops bis hin zu elektrischen Solid- oder Hollowbody-Gitarren. Die Instrumente wurden auch unter anderen Markennamen sowie als Hausmarken großer amerikanischer Kauf- oder Versandhäuser wie "Sears & Roebuck" verkauft. Der Versandhändler Sears übernahm sogar zeitweilig den Instrumentenhersteller.
Die "Monterey"-Serie
Die Gitarren der Monterey-Serie hatte die Firma Harmony im mittleren Preissegment ihrer Archtop-Modelle angeordnet. Im unteren Segment lag die Archtone-Serie, im oberen Serien wie Cremona oder Brilliant. Die Monterey Serie wurde von 1938 bis 1972 produziert. Im Gegensatz zu den höherwertigeren Serien wurde an der Ausstattung gespart. Allerdings gab es auch innerhalb der Monterey-Serie Modelle mit massiver Fichtendecke, verstellbarem Hals oder anderem „Luxus“. Aber selbst zwischen diesen Top-Modellen von Harmony und den Archtop-Gitarren von US-Herstellern wie Gibson oder D’Angelico, die Neil Young später auch noch spielen sollte, lagen qualitativ Welten.
Das populärste und am meisten verkaufte Modell der Serie war die H950 „Monterey Leader“, die über den gesamten Produktionszeitraum von 1938 bis 1972 im Programm der Firma war und außerdem unter den Markennamen Alden, Barclay, Custom Kraft, Esquire, Holiday sowie SS Stewart erhältlich war.
Die H950 bestand komplett aus Birkenholz, hatte einen mit Stahlstab verstärkten Hals, der aber nicht verstellbar war, und wurde geflammt in rotem oder braunem Sunburst lackiert. Sie hatte offene Mechaniken, einen einfachen Trapez-Saitenhalter, eine Brücke aus Ebenholz und ein Celluloid-Schlagbrett. Der Korpus besaß eine 15 Zoll Auditorium-Größe, die Mensurlänge betrug 642 mm. Der Neupreis lag 1959 laut Katalog bei 46 US-Dollar.
Diese Gitarre war auch als größere 16 Zoll Grand-Auditorium unter der Modellnummer H1325 für 54,50 US-Dollar erhältlich. Allerdings ist fraglich, ob der damals schmächtige, noch nicht einmal 15-jährige Neil Young das größere Modell wählte.
H1456 Monterey |
Eher möglich ist, dass er damals für seine 30 Dollar schon eines der Top-Exemplare der Monterey-Serie bekam. Die H1457-Monterey kostete 1959 neu immerhin schon 77 US-Dollar. Dafür hatte sie aber auch einen massiven Ahornkorpus, Fichtendecke und ab 1956 sogar einen verstellbaren Hals. Diese teurere Monterey wurde seit 1945 angeboten. Erste Exemplare könnten 1960 also durchaus den von Neil Young bezahlten Gebrauchtpreis erreicht haben. Allerdings wird in "Shakey" Neils Bruder Bob mit der Aussage zitiert, dass die Harmony die Stimmung nicht richtig halten konnte. Das spricht wiederum eher für eines der preiswerteren Modelle.
Leider sind keine Fotos überliefert, auf denen Neil Young mit seiner ersten Gitarre deutlich erkennbar wäre. Das einzige Foto, aufgenommen im Juni 1961 anlässlich der Feier seines Abschlusses der 9. Klasse, zeigt ihn etwas verschwommen im Gray-Apartment in 250 Hugo Street im Stadtteil Fort Rouge zusammen mit Klassenkameraden. Das Foto ist in John Einarsons Buch "Don't Be Denied" und in "Long May You Run - The Illustrated History" abgebildet und auch im Booklet zu den "NY Archives #1" enthalten. Es soll Neil Young mit seiner ersten Gitarre zeigen. Die drei Freunde, die mit ihm und seiner Gitarre auf einem Sofa in Mutter Rassys Wohnzimmer sitzen, verdecken aber ausgerechnet die wichtigsten Teile der Gitarre – außer dem Griffbrett. Helle Block-Inlays, eines der Extras der höherpreisigen H1457 sind darauf aber nicht zu erkennen. Auch daraus könnte man schließen, dass Neil Young wohl eher eine „Brot-und-Butter-Monterey“ H950 besessen haben dürfte.
Allerdings ist zweifelhaft, ob auf dem Foto überhaupt Neil Youngs Harmony Archtop zu sehen ist. Es gibt einige Hinweise darauf, dass er hier vielmehr eine der damals sehr populären und billigen Danelectro- oder Silvertone-Gitarren in der Hand hält, die einem seiner Schulfreunde gehörte. Möglich wäre auch, dass der Danelectro-Bass von Jim Kale zu sehen ist, den sich gelegentlich Neils Kumpel Ken Koblun auslieh.
Neil Young hatte nur zwei Stunden Gitarrenunterricht
'Seabreeze' - Made in Toronto |
Was auch immer das Foto letztlich zeigt, seine erste Gitarre war definitiv eine "Harmony Monterey" und sie bescherte dem damals 14-Jährigen auch die ersten richtigen Unterrichtsstunden: Ein Lehrer namens Jack Ridell brachte ihm in gerade mal zwei Stunden die Grundbegriffe der Gitarre bei. Im Gegenzug musste Neil Young seinem Schulkameraden John Daniel Golf-Stunden geben. Danach machte er aber lieber als Autodidakt weiter, brachte sich, wie schon bei der Ukulele, selber Griffe und Spieltechnik bei und versuchte - vor dem Radio oder dem Plattenspieler sitzend - aktuelle Songs nachzuspielen.
Neil Young steckte auch, wie sein „Esquires“-Bandkollege Don Marschall in Jimmy McDonoughs "Shakey" berichtete, die "Harmony Monterey" in Ermangelung eines richtigen Gitarren-Amps zur Verstärkung in seinen portablen "Seabreeze"-Plattenspieler. So wie auch alte Röhrenradios eine Art "Arme-Leute"-Verstärker, mit dem damals viele angehende E-Gitarristen ihre ersten Erfahrungen sammelten.
Damit wären wir schon bei einer weiteren ungelösten Frage: Wie und wann kam die Elektrik in die akustische Harmony Archtop-Gitarre? John Einarson schrieb 1992 in seinen Buch „Don’t Be Denied – The Canadian Years“, Neil Young habe im Laufe des Jahres 1960 einen Pickup nachgerüstet, nachdem er die Bands der Musikszene in Winnipeg begutachtet hatte. Allerdings schreibt er im gleichen Zusammenhang auch, dass die Gitarre schon vor dem Umzug nach Winnipeg gekauft wurde. Richtig stimmig erscheint diese Aussage daher nicht. Neil Young selber verortete den Kauf der Harmony nach Winnipeg.
Denkbar wäre aber auch, dass die Harmony schon mitsamt Pickup in dem Musikladen oder der Pfandleihe gekauft wurde – ob nun in Toronto oder in Winnipeg. Harmony selbst, aber auch Drittanbieter wie DeArmond, hatten Nachrüstsets im Angebot, mit denen man akustische Archtops nachträglich elektrifizieren konnte. Dazu wurde zum Beispiel ein sogenannter „Floating-Pickup“ mit Hilfe eines Bügels auf der Decke fixiert. Volume- und Toneregler saßen auf einer Metallplatte, die auf die Saiten zwischen Brücke und Seitenhalter gesteckt wurde. Das Kabel wurde seitlich herausgeführt.
Das Design dieser Lösungen sah meist recht abenteuerlich aus. Auch dürfte die Anbringung der Reglerplatte ihren Teil zum oben angesprochenen Stimmproblem beigetragen haben. Daneben gab es noch andere Lösungen, bei denen die Regler am Schlagbrett montiert wurden. Ganz Mutige oder Geschickte bauten auch P90 oder gar Humbucker in so eine Gitarre ein, was aber mit aufwändigen Holz- und Lötarbeiten verbunden war - wie diese Webseite anschaulich zeigt.
Ob Neil Young damals dazu in der Lage war, darf angezweifelt werden. Er wird zwar als Bastler beschrieben, aber selbst zwei Jahre später war er nicht in der Lage, die defekte Elektrik seiner zweiten Gitarre – einer Les Paul Junior – zu reparieren. Die schmiss er im Herbst 1963 entnervt gegen die Wand eines Übungsraumes, nachdem er wiederholt Stromschläge abbekam. Dabei deutet das lediglich auf eine recht einfach durchzuführende Reparatur eines defekten Masse- oder Pickup-Kabels hin.
Stella Flat-Top Gitarren |
Andererseits berichtet Sharry Wilson in "Broken Arrow Magazine #117" über einen Ausflug Neil Youngs im März 1958. Von Pickering ging es nach Toronto, wo der damals 12-jährige Neil einen gewissen Eddie Wingay, ehemaliger Klassenkamerad aus der Grundschule, zu Hause besuchte. Dabei schaute er fasziniert dessen großen Bruder dabei zu, wie der einen Pickup auf seiner "Harmony Stella" ausprobierte. Die Stella war bei Harmony ein Pendat zur Monterey, hatte aber statt einer gewölbten Decke eine flache (flat top) und ein rundes Schalloch statt F-Löcher. Es wäre also durchaus möglich, dass sich Neil Young zwei Jahre später noch daran erinnerte, wie man einen zusätzlichen Pickup montiert.
Wie auch immer: Art und Zeitpunkt der Elektrifizierung der "Harmony Monterey" bleiben im Dunkeln. Dafür ist aber bekannt, dass Neil Young auf genau dieser Gitarre seinen ersten öffentlichen Bühnenauftritt absolviert hat: Anfang Januar 1961 spielte er mit seiner ersten Band „The Jades“ im Community Club seiner „Earl Grey“-Schule. Es bleibt der einzige Auftritt dieser Band. Auch in seiner zweiten Band, „The Esquires“, spielte er bis zu seinem Ausscheiden mit der elektrifizierten Harmony Archtop. Erst in seiner dritten, „The Stardusters“, kam die besagte „Les Paul Junior“ zum Einsatz, die ihm seine Mutter zu seinem 16. Geburtstag im November 1961 gebraucht kaufte.
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Die "Harmony Monterey" ist übrigens noch mit einem weiteren prominenten Namen verbunden: Elvis Presley. Der "King" trat 1960 – just in dem Jahr, in dem Neil Young die Gitarre kaufte – mit der Monterey Leader im Kino auf. Im dem Streifen „G.I. Blues“ spielte und sang Elvis einen US-Soldaten, der seine Lieder unter anderem mit jener preiswerten Archtop-Gitarre begleitete. Diese Begleitung hielt noch einige weitere Jahre: In vielen Filmen bis 1966 benutzte Elvis - neben vielen anderen Gitarren - die "Harmony Monterey Leader", Modell H950.
Die Internetseite www.scottymoore.net listet dazu viele Fakten und Hintergründe auf. Neil Young war schon als Teenager ein großer Fan von Elvis, seit er ihn in der "Ed Sullivan Show" im Fernsehen sah. In "Shakey" nennt er unter anderem Elvis Platte "All Shook Up", die etwas in ihm bewegt habe. Es ist nicht auszuschließen, dass die Wahl der "Hamony Monterey" möglicherweise von Elvis beeinflusst war. Zumindest aber ist es ein schöner Zufall. Daraus ergibt übrigens auch eine interessante Parallele zu Neil Youngs allererstem Instrument, der Plastik-Ukulele. Die wurde seinerzeit im Fernsehen von Moderator und Sänger Arthur Godfrey populär gemacht. Seine erste Gitarre wurde später von Elvis Presley promoted – Neil Young hatte sich also nicht nur, was die Zahl der Saiten betrifft, ein ordentliches Stück nach oben gearbeitet ...
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Vorstellung einer "Hamony Monterey" auf YouTube:
Elvis mit "Harmony Monterey" im Film "Paradise, Hawaiian Style" (Deutscher Titel: Südsee-Paradies) von 1966
Foto: Neil Young auf dem Cover seines Albums "Everybody's Rockin'" von 1983. Hier spielt er eine teure und seltene Archtop - eine "D'Angelico New Yorker" aus dem Jahr 1938. Das handgefertigte Meisterstück ist das genaue Gegenteil der billigen "Harmony Monterey". Diese wunderschöne "D'Angelico" ist hier auf archtop.com ausführlich beschrieben (englisch).
Foto: Eine alte Archtop-Gitarre in der "Small World" mit Klein-Neil und -Dan
Video: Neil Youngs Harmony Monterey als 3D-Animation
Die verwendeten Fotos stammen von "Harmony Database", einer umfangreichen Internetseite zu den Harmony-Gitarren, die der Franzose Francois Demont betreibt. Merci beaucoup!
Artikel-Serie über Neil Youngs Instrumente:
Teil 1: Neil Youngs "Arthur Godfrey"Plastik-Ukulele
Teil 3: Neil Youngs "Orange Periode" - die Gretsch 6120
Alles gute!
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